Mitte November waren wir einige Tage bei einem unserer Vorbilder. Wir waren bei der »Coopérative La Louve« in Paris, um einen genossenschaftlichen Supermarkt im Betrieb zu erleben, mitzuarbeiten und für MILA zu studieren. Im ersten Teil berichten wir von Erlebtem vor Ort und im zweiten Teil von Gelerntem und unserem Aha-Erlebnissen – Teil 2
Autorinnen: Anna Hagenauer & Beatrice Stude
Was nehmen wir mit?
Viele Aha-Erlebnisse von uns neun unterschiedlichen Menschen sind ähnlich oder gleich, nachdem wir La Louve für MILA erkunden durften. Wir haben zu den unterschiedlichen Aspekten hier die O-Töne eingefangen:
„Der Besuch bei La Louve war für mich besonders eindrücklich, weil es der lebendige Beweis ist, dass Utopien gelebte Realität werden können. Die Gründer*innen haben Großes geschafft: Ein super Markt mit super Lage, Sortiment und Preisen. Sogar bei der Frühschicht um 6:00 Uhr war die Stimmung vorzüglich. Wir wurden als Gäste sehr ernst genommen und mit der nötigen Geduld und sehr freundlich in die Finessen der Supermarkt-Arbeit eingeführt.“ bringt Victor seine Eindrücke auf den Punkt.
Auf das Wesentliche konzentrieren
„Die Arbeit ist das Soziale!“ erklärt Tom Boothe, Mitglieder gehen oft nach ihrer Spätschicht gemeinsam noch etwas trinken. Das belebt die Gastronomie in der Nachbarschaft und damit das Viertel. Sein Tipp und Teil des Erfolgsrezeptes von La Louve bleibt besonders eindrücklich Ulla im Gedächtnis: „Vor allem diese Aussage von Tom nehm ich mit nach Wien: Konzentriert euch auf den Supermarkt und lasst alles andere erst einmal weg: Café und Kindergarten.“ Auch Brigitte nimmt das für MILA mit: „Sich aufs Wesentliche besinnen. Uns nicht ablenken zu lassen von Extra-Angeboten, die vielleicht noch nett sind irgendwann beim Supermarkt dabei zu haben: Sprich ein eigenes Café oder Catering und dies und das. Das ist alles schön, wenn sich das irgendwann ausgeht. Ganz klar den Supermarkt im Fokus zu behalten und sich nicht ablenken zu lassen – das ist für mich für den Aufbauprozess ein wichtiges Aha-Erlebnis.“
Entspannte Atmosphäre und Vielfalt
„Es war einfach toll, diese entspannte Atmosphäre, keiner schreit: Zweite Kassa bitte!, und die unglaublichen Preise!“, dies nimmt Uschi mit von La Louve. Ähnlich ging es auch Brigitte: „Ein Aha-Erlebnis war für mich zu sehen, wie ruhig und besonnen und entstresst die Zusammenarbeit stattfindet bei La Louve – also da bei dieser frühmorgendlichen Schicht war es viel geordneter und ruhiger als ich mir das gedacht hätte. – Und erst das Sortiment: Also diese 6.500 unterschiedlichen Artikel, das ist so eine Zahl, da kann man sich nicht soviel drunter vorstellen, aber wenn man dann wirklich sieht wieviele ganz unterschiedliche Reissorten da im Regal stehen. Oder wenn man sieht, dass da acht, neun verschiedene Kürbisse da sind oder zwanzig oder mehr verschiedene Senfsorten, die ganz unterschiedlich schmecken. Da sieht man was 6.500 Artikel sind und was diese Vielfalt bedeutet – das ist man gar nicht gewohnt!“
Das fällt auch Joël besonders auf: „Ein Erfolgsgrund des Supermarkts, den ich nicht erwartet hatte, war, dass sie – abgesehen von dem sozialen Konzept und den geringen Preisen – bei kulturell relevanten Produkten besonders gute Qualität anbieten: Dass sie zum Beispiel direkt von gut ausgesuchten Käse-Produzent*innen und Bäcker*innen beliefert werden.“
Keine Werbung, keine Rabatte und kein Bedienen
Anna ist überrascht von dem Umgang mit Ware, die das Mindesthaltbarkeitsdatum beziehungsweise das Verfallsdatum bald erreicht: „Diese Ware wird bei La Louve zwar mit Schildern versehen, zum Beispiel „läuft in 2 Tagen ab“, aber nur um Abfall zu vermeiden. Es gibt keinen Rabatt auf diese Produkte – es soll vermieden werden, dass „rabattgeshoppt“ wird und dadurch immer mehr Ware so lange im Regal bleibt, bis das Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht wird. Das kann also dann zu mehr Abfall anstatt weniger führen und würde sich zudem negativ auf den Umsatz des Supermarktes auswirken. Das war für mich ein großer Aha-Moment!“
Ulla ergänzt dazu: „Es gibt keine Bedientheken für Feinkost und keine Aufbackstationen à la Resch&Frisch – bei bislang keinem der drei besichtigten Mitmach Supermärkte. Und dennoch, besonders bei La Louve, ein tolles Feinkost und Frische-Angebot.“ Außerdem ist Beatrice im Vergleich zum Einkaufen im konventionellen Supermarkt aufgefallen: „Ich hab es als sehr angenehm empfunden, dass im ganzen Kassabereich gar keine Ware steht. Das verhindert Spontankäufe von Dingen, die niemand braucht. Stattdessen gibt es Abstellplätze für die privaten Einkaufstrolleys – hier ist einfach mitgedacht: fürs Einkaufen zu Fuß und mit Öffis!“
Mitarbeiten: viel manuell auf Papier
Alle haben eine Mitarbeitsschicht übernommen, denn beim Tun sind es besonders das Wie und die Details, die überraschen. Sigrids Aha-Erlebnis ist: „Als einfaches Mitglied bei den Schichten passiert alles ausschließlich manuell, ohne digitale Geräte. Dafür gibt es sehr professionelle Anleitungskarten zu den einzelnen Tätigkeiten, sowie ein gutes Beschilderungssystem für die Warenlogistik.“ David fällt besonders auf, „dass der gesamte Lagerstand und die Bestellvorbereitung bei Obst und Gemüse analog mit handgeschriebenen Listen gemacht wird!“
Entscheiden und Mitbestimmen
Wer verantwortlich ist, muss auch entscheiden (können). Das operative Alltagsgeschäft liegt bei den angestellten Mitarbeiter*innen. Joël merkt an, „was ich auch spannend fand war, dass der Supermarkt weniger demokratisch organisiert war als ich erwartet hatte. Mitmachen ist zwar eine starke Komponente, Entscheidungen werden aber hauptsächlich von den Angestellten getroffen und die Generalversammlung wird nur von wenigen Mitgliedern besucht. Das macht vieles weniger kompliziert und ist daher vielleicht auch ein weiterer Erfolgsgrund, aber ich persönlich träume nicht nur von klugen Strukturen zum mitmachen, sondern auch von Strukturen zum mitentscheiden.“
Das Aha-Erlebnis von Beatrice ist: „Das direkte Mitbestimmen – ohne Diskussion! Das hat mich überrascht: Als Mitglied wünschst du dir ein Produkt, egal welches, du trägst es einfach in das Vorschlags-Buch nach deiner Schicht oder beim Einkaufen ein. Wenn es bei eine*m der bestehenden Lieferant*innen gelistet ist, steht es dann bald im Regal. Großartig! Und über den Kauf oder Nicht-Kauf entscheiden dann letztlich alle Mitglieder direkt, ob es im Sortiment bleibt. Das hätte ich gern auch bei MILA!“
Die Learning Journey ist Teil des »Piloten Mitmach Supermarktes« und wird gefördert durch die Wirtschaftsagentur Wien, ein Fonds der Stadt Wien.