Mitte November waren wir für einige Tage bei einem unserer Vorbilder. Wir waren bei der »Coopérative La Louve« in Paris, um einen genossenschaftlichen Supermarkt im Betrieb zu erleben, mitzuarbeiten und für MILA zu studieren. Im ersten Teil berichten wir von Erlebtem vor Ort und im zweiten Teil von Gelerntem und unserem Aha-Erlebnissen – Teil 1
Autorinnen: Anna Hagenauer & Beatrice Stude
Treffpunkt: Mittwoch Abend am Wiener Hauptbahnhof
Die Vorfreude ist groß! Endlich geht es zu unserem Vorbild-Supermarkt! Bald schon werden wir sehen, wie so ein kooperativer Supermarkt aussehen kann, wie alles abläuft. Bald schon werden wir einen Vorgeschmack bekommen, wofür wir uns in Wien einsetzen – einen Vorgeschmack auf MILA! Zudem ist es auch ein gemeinsames verlängertes Wochenende in Paris – magnifique!
Mit dem Nachtzug geht es über Köln und Brüssel nach Paris. Nicht ganz wie geplant, einen Anschlusszug haben wir verpasst und kommen über zwei Stunden verspätet an. Nach dem Einchecken in der Unterkunft und kurzem Ankommen brechen wir auf zum Pariser Mitmach Supermarkt.
Da sind wir nun in Paris, stehen vor der »Coopérative La Louve«, der Genossenschaft die Wölfin, und richten den Geschenkkorb her. Aufregend. Wir melden uns an und Tom Boothe hat auch gleich Zeit für uns und gibt uns eine große Tour durch den Supermarkt. Wow – was für spannende Eindrücke! Die Auswahl des Produktsortiments ist groß – das Wasser läuft uns im Mund zusammen, wir wollen am liebsten gleich einkaufen gehen, bei all den guten Lebensmitteln! Die hohe Qualität der Lebensmittel ist sofort erkennbar. Das Gemüse ist so frisch, die Vielfalt riesig!
Öffentliche Bibliothek statt Club
Es riecht gut und die Atmosphäre ist entspannt. Während eines Streifzuges durch die Regalgänge erzählt uns Tom Boothe wie der Betrieb abläuft, was »La Louve« ausmacht und wie sie es geschafft haben, seit fünf Jahren erfolgreich zu bestehen – wie immer wortgewandt und mit interessanten Anekdoten. So betont Tom, dass sich die »Coop«, der genossenschaftliche Supermarkt, mehr als eine »Public Library«, eine öffentliche Bibliothek, und weniger als ein Club versteht. Denn jede*r ist willkommen, die oder der möchte und sich gemäß des Konzepts beteiligt: Insbesondere bei der drei Stunden-Schicht alle vier Wochen mitzuarbeiten, um gute und leistbare Lebensmittel einkaufen zu können.
Um leistbar für Viele zu sein, gibt es fast immer ein konventionelles und ein biologisches Produkt. Und, es darf prinzipiell jedes gewünschte Produkt ins Regal kommen und bleiben – so lange es auch gekauft wird.
„Wir moralisieren nicht – das ist eine wichtige Haltung“,
erklärt Tom einen Grundsatz zum Sortiment von La Louve.
Aus logistischen Gründen gibt es Obst und Gemüse ausschließlich in Bio-Qualität – jedoch günstiger als konventionelles Obst und Gemüse in herkömmlichen Supermärkten.
Im unteren Stockwerk des Supermarktes begreifen wir, wie groß der Supermarkt ist! Hier gibt es weitere Verkaufsfläche, Räume für Vorbereitungen und die Lager. Durch die über 1.400 Quadratmeter ist genug Platz für große, gut durchdachte Lagerräume. Besonders beeindruckt sind wir von den sieben Kühlräumen: Denn Käse, Milchprodukte, Fleisch, Gemüse und Obst haben, wenn sie bei unterschiedlichen Temperaturen gelagert werden, die längste Haltbarkeit. Die ethylen-produzierenden Obstsorten, die manch anderes schneller Altern lassen, werden beispielsweise gesondert gelagert – dadurch entsteht erstaunlich wenig Abfall.
Sechs Uhr morgens – Zeit für eine Schicht im Supermarkt!
Nach einem schönen ersten Abend geht es für einige von uns am nächsten Tag sehr zeitig los – denn die erste Schicht beginnt bei La Louve um 6 Uhr in der Früh. Dadurch haben wir einen Tag bei La Louve von Anfang an miterleben dürfen.
„La Louve hat alle drei Stunden Amnesie!“
erzählte uns Tom noch am Vorabend bei der Tour.
Die Mitglieder kommen nach ihrer Schicht erst vier Wochen später wieder, daher muss gut überlegt sein, wie die Arbeit für die 4.300 Mitglieder organisiert ist. Jemand im Team weiß Bescheid und leitet die anderen an. Wenn es dennoch Fragen gibt oder wenn eine Arbeit getan ist, kann eine*r der Angestellten gefragt werden. Zwölf Vollzeit-Angestellte hat La Louve derzeit.
Mandeln sind sehr beliebt und jeden Morgen aufzufüllen. Wir, das Team zum Auffüllen der losen Ware, waren bald fertig. Dann gab es noch volle Paletten in die Lager zu räumen. Hier halfen fünf, sechs weitere Mitglieder mit. Organisiertes Chaos. Es funktioniert. Wo was hinkommt ist ausgeschildert. Auf alle Produkte beziehungsweise Kartons wird das Lieferdatum mit Edding geschrieben. Wenn du dann weißt, was du da in den Händen hältst, machst du dich auf die Suche nach dem richtigen Lager. Manche Waren kamen aus Deutschland, das war einfach. Und bei der Lagersuche waren alle sehr hilfsbereit. Eine emsige, aber doch entspannte Atmosphäre. Gegen Viertel nach acht war alles verräumt. Die Frühschicht ist etwas kürzer, da die Metro erst gegen fünf Uhr zu fahren beginnt und die Mitglieder noch selbst einkaufen wollen, bevor sie zur Arbeit fahren.
Später am Tag machen einige von uns noch andere Schichten und lernen viel dazu. Außerdem gibt uns Brian Horihan Einblicke ins Software- und IT-System von La Louve und wir nehmen viel Know-How für MILA mit. Tom wird abschließend noch von Brigitte interviewt, was Victor, unser filmischer Begleiter, mit seiner Kamera einfängt.
Neben unserem Studium vom Supermarktbetrieb von La Louve verbringen wir eine schöne Zeit in Paris, lernen uns besser kennen und lassen es uns kulinarisch gut gehen. Was für ein spannendes, lehrreiches und gemeinschaftsstärkendes Wochenende!
Wie La Louve entstand
Überzeugt vom Konzept des kooperativen Supermarktes »Park Slope Food Coop« in New York initiierten die zwei Amerikaner Tom Boothe und Brian Horihan 2010 die ersten Schritte zum Gründen der »Coopérative La Louve« in Paris. Als Gastronomen waren und sind sie sehr bedacht auf hohe Qualität bei gleichzeitig leistbaren Preisen für die Lebensmittel.
Nach Jahren des Vorbereitens und Wachsens ist es Ende 2016 soweit: »La Louve« eröffnet als genossenschaftlicher Supermarkt mit 2.000 Mitgliedern. Heute hat La Louve 4.300 Mitglieder und verkauft auf 550 Quadratmetern circa 6.500 Produkte. Der jährliche Netto-Umsatz beträgt derzeit rund acht Millionen Euro – sodass die aufgenommenen Kredite bereits sehr bald zurückbezahlt werden können. La Louve ist in einem geförderten Wohnprojekt eingemietet – ein Geschäftslokal, das sie ohne Unterstützung der Stadt Paris nicht bekommen hätten. Ums Eck ist ein »Urban Lab« und nicht weit auch »Le bar commun – ein Ort zum Teilen und gemeinsam Handeln«. Der 18. Arrondissement, der 18. Bezirk von Paris, liegt noch innerhalb des äußeren Ringes im Nordosten der Innenstadt. Ein Arbeiter*innenviertel mit Stadtentwicklungs-Neubauten entlang dieses Ringes. Die Mitglieder kommen aus der näheren Umgebung, aus der inneren Stadt und aus der Region.
Mittlerweile hat La Louve zwölf Vollzeit-Angestellte, in einem gewöhnlichen Supermarkt dieser Größe wären es wohl über 40. Das spart viel Geld und ermöglicht den einheitlich niedrigen Preisaufschlag von 20 Prozent – mit Ausnahme weniger Produktgruppen: wie Obst, Gemüse und Fleisch, hier werden zusätzlich noch drei Prozent aufgeschlagen. Der einheitliche Preisaufschlag schließt auch »Non-Food« mit ein, also alle Produkte außer den Lebensmitteln. In herkömmlichen Supermärkten wird auf Non-Food bis zu 300 Prozent aufgeschlagen!
Corona und die Lockdowns waren und bleiben herausfordernd, doch der Betrieb läuft weiter und La Louve geht es gut!